Kunst und Kräne

Beitrag im Newsletter – Neue Messe Stuttgart 06-2000

 

KUNST UND KRÄNE

Sie schauen alle recht verdutzt drein, Arbeiter ebenso wie Besuchergruppen:
Inmitten von Kränen, Schutt und Baumaschienen hat es sich ein älterer Herr mit Schlapphut bequem gemacht und malt. Jürgen Meyer-Andreaus, Architekt und Künstler aus München, ist in diesem Frühsommer regelmäßig zu Gast auf der Baustelle der Neuen Messe und lässt mit Aquarellfarben und Pinsel eindrucksvolle Bilder entstehen.

Tonnenschwere Lastwagen donnern vorbei, Staubwolken flirren umher. Lautes Hämmern und vibrierende Bohrgeräusche durchdringen die Luft. Doch an all dem stört sich Jürgen Meyer-Andreaus nicht, der in sich vertieft auf einem kleinen Falthocker sitzt. Denn Baustellen haben es ihm angetan: “Das technische Durcheinander und die vielen Kontraste grafisch festzuhalten, das macht den Reiz aus“, schwärmt er und nimmt ein wenig Farbe mit dem Pinsel auf. „Je chaotischer, desto interessanter“, fügt er hinzu, ohne dabei den Blick von seinem auserkorenen Motiv zu nehmen: Dem Stahlskelett einer Messehalle und zwei im Vordergrund „thronenden“ Kalksilos. Immer wieder kneift er die Augen hinter seiner filigranen Brille zusammen und fixiert das Geschehen.

Wasserglas und Sonnenschirm
Es ist ein Kennerblick, geschult von unzähligen „Baustellensitzungen“. Zuletzt hat Jürgen Meyer-Andreaus sein mobiles Atelier aus Malkasten, Wasserglas und Sonnenschirm vor der Schrannenhalle und der Allianz Arena in München sowie dem neuen Mercedes-Benz Museum in Stuttgart aufgeschlagen, um die Entstehung dieser besonderen Bauwerke auf dem Papier festzuhalten. Waltraud Zizelmann, eine Malfreundin aus dem schwäbischen Schlaitdorf, erzählte ihm dann von der Baustelle der Neuen Messe. Da gab es für den 1934 in Wittenberge geborenen Künstler kein Halten mehr, trotz der langen Anfahrt aus seinem jetztigen Wohnort München: „Wenn Baumaschinen und Bohrer anrücken, werde ich erst wieder ruhiger, wenn ich vor Ort den Pinsel in der Hand und das Malbrett auf den Knien habe.“

Skizzenbuch immer im Gepäck
Das Talent muss ihm bereits in die Wiege gelegt worden sein. Nach dem Abitur lernte er zunächst das Handwerk des Steinmetzen, danach widmete er sich der Architektur: erst als Student, dann unter anderem als Dozent, in Berlin, Stockholm und Mexico-Stadt. Etwas trug der Weltenbummler aber immer bei sich: „Mein Skizzenbuch. Ich zeichne, seit ich über den Tisch gucken kann.“ Doch das Schwarz-Weiß-Korsett der Zeichnungen wurde ihm mit der Zeit zu eng, in der farbigen Aquarellmalerei fand er seinen Lieblingstiel. „Ein Glück!“ möchte man ihm zuflüstern, wenn man ihm auf der Baustelle beim Anfertigen der Bilder über die Schulter guckt.